Statement einer Grünen zum Ausgang der US-Wahl

 "Einmal werden wir uns daran erinnern was wir am 9. November 2016 getan haben, als uns dämmerte was in Amerika gerade passiert ist und welchen Ausdruck der Verlust politischer Legitimität da nun bekommen hat. Für den Moment bleibt die Frage wie lange die Katerstimmung noch anhalten mag. Ich bin zutiefst erschüttert, dass das Land, dessen Demokratie uns als Vorbild galt, um den Faschismus zu überwinden, einen Faschisten zum Präsidenten gewählt hat! Es macht mich tief traurig zu erleben, dass diejenigen, die Hass und Wut säen, erfolgreicher zu sein scheinen, als diejenigen, die an das gemeinsame Gestalten der ohnehin schwierigen Zukunft appellieren!

10.11.16 –

 "Einmal werden wir uns daran erinnern was wir am 9. November 2016 getan haben, als uns dämmerte was in Amerika gerade passiert ist und welchen Ausdruck der Verlust politischer Legitimität da nun bekommen hat. Für den Moment bleibt die Frage wie lange die Katerstimmung noch anhalten mag.

Ich bin zutiefst erschüttert, dass das Land, dessen Demokratie uns als Vorbild galt, um den Faschismus zu überwinden, einen Faschisten zum Präsidenten gewählt hat! Es macht mich tief traurig zu erleben, dass diejenigen, die Hass und Wut säen, erfolgreicher zu sein scheinen, als diejenigen, die an das gemeinsame Gestalten der ohnehin schwierigen Zukunft appellieren!

 

Etablierte Politik muss jetzt innehalten und sich den weitreichenden Fragen stellen, die es zu beantworten gilt! Wir können, nein, wir dürfen nicht einfach so weitermachen wie bisher! Ich bin ganz sicher, dass wir als Grüne beispielsweise sehr gute Konzepte haben, die die Leben vieler verbessern können. Was aber bringen diese und unsere intensiven parteiinterne Debatten, wenn die davon Betroffenen sie nicht kennenlernen und verteidigen? 

Insbesonderewir Grüne müssen uns vor Augen halten, dass zentrales Moment unserer eigenen Erfolgsgeschichte der Protest gegen das Establishment war. Mit Trennung von Amt und Mandat, Rotationsprinzip und Menschen aus Bewegungen und nicht Apparaten haben wir uns aufgemacht das verstaubte System zu verändern und wurden gerade von jungen Menschen dafür gewählt. Von den damals mehr als 80 Prozent unter dreißigjährigen Wähler*innen sind uns bis heute nur unter zehn Prozent geblieben. Wir sind gealtert und wirsind nun Teil des Establishments. Wir können uns also kaum als echte Alternative mehr zum System vermarkten, obwohl das einst unser Anspruch war. Dass der Bedarf danach allerdings riesig ist, machen viele Wahlen der Vergangenheit deutlich. Auch in den USA sind unter diesen Vorzeichen fast die Hälfte aller Wählerinnen nicht zur Wahl gegangen. Nichtwähler*innen sind auch bei uns ein echtes Problem und zwar weil sie offenbar keine angemessene Ansprache erhalten. Ich will einfach nicht glauben, dass so viele Menschen grundsätzlich desinteressiert sind an der Zukunft ihres Gemeinwesens, der Zukunft ihrer Kinder! Seit Jahren erlebe ich immer wieder Entsetzen und Sorgen, wenn die AfD in einen Landtag einzieht, in Österreich ein Präsident gewählt werden soll, Polen rechtskonservativ wählt, Orban in Ungarn einen Zaun baut, und bald Le Pen in Frankreich einen weiteren Trump nachahmen könnte. Aber ist dieses, mein Entsetzen deckungsgleich mit dem vieler Menschen? Vermutlich schon, aber daneben gibt es noch anderes, das ich weniger sehe! Ich erahne da tiefsitzende Enttäuschung über die geringe Veränderung nach der Finanz-und Bankenkrise, Angst um die Ungewissheiten einer digitalisierten Zukunft. Für Menschen in einer kapitalistischen Welt, die ihnen ihren Wert vor allem durch Arbeit zuschreibt, kämpft Politik wie je um Arbeitsplätze. Aber was bedeutet es für deren Gefühl, wenn ihre Arbeit bald vollautomatisiert ihren Wert generell erübrigt?

Wir können nicht weiter vor dem latenten Mitgliederschwund der Parteien stehen und entsetzt auf die Erfolge von Populist*innen blicken und dabei (an und für sich richtigerweise) den Kampf für eine tolerante und offene Gesellschaft beschwören, wenn wir gar nicht wissen, wie wir diesen Kampf führen wollen! Unsere Messer scheinen stumpf; mindestens bemühen wir uns zu sehr um die Bespielung alter Leitmedien und Veranstaltungsformate für Leute, die sich ohnehin für uns interessieren. Aber wo ist die Öffentlichkeit eigentlich wirklich und wieso erreichen Populist*innen diese so viel besser? Das mag in den Wahrnehmungsverschiebungen durch das Internet begründet sein und darin, dass wir Politik für Zeitungsleser*innen machen, aber kaum wer mehr Zeitungen liest, dass wir sehr viel Zeit in Debatten stecken, in denen wir kleinteilig über Eurobeträge streiten, aber kaum Mitglieder motivieren mit ihren Mitmenschen für die Ideen zu streiten.

Die Welt zu retten, indem wir aufhören sie kontinuierlich zu zerstören, der Klimakatastrophe Einhalt zu gebieten, politische und technologische Entwicklungen transparenter zu machen, Menschen helfen, sich nicht aus der Not heraus in eine entsetzliche Fluchtsituation begeben zu müssen, Gerechtigkeit durch mehr Umverteilung herzustellen - das muss doch konsensfähig werden!

Ich plädiere dafür, dass Politik sich nun Zeit nimmt; Zeit, die sie nicht hat, die sie schon nicht hat, um bei einer Betriebspraktik die Lebenswirklichkeit von Nichtakademiker*innen kennenzulernen; Zeit, die kostbar ist, weil das Privatleben von Politik*innen ohnehin auf der Strecke bleibt. Aber hier geht es um eine Infragestellung des Systems, weil die Repräsentation durch Parteien, eben jenen, die für die politische Willensbildung in westlichen Demokratien die Verantwortung tragen, nicht mehr funktioniert. Das muss analysiert und verändert werden, wenn wir nicht mehr nur jene (Alteingesessenen), die wissen wie kommunale Politik funktioniert und was der Vermittlungsausschuss machen kann, wieder mitnehmen wollen.

Der Rassismus, der Hass, die Widerwärtigkeit von Rechtsaussen ist unerträglich und braucht eine ernst gemeinte Reaktion, bei der nicht all diejenigen, die sich Wandel wünschen, verunglimpft werden, sondern teilhaben können, an der Gestaltung ihrer Zukunft.

Dass diese politischen Umbrüche nichts sind, dass es auszusitzen gilt, weil dann schon erkannt würde, wie blöd sie sein mögen, wird doch klar, wenn man sich mal ansieht was die im Konkreten bereits verändern. So bemerkte Markus Beckedahl von Netzpolitik richtig: "Das größte Überwachungssystem der Welt liegt jetzt in der Hand eines Psychopathen."

Ich widme seit vielen Jahren einen Großteil meiner Zeit Grüner Politik - wie viele andere meines persönlichen Umfelds auch - und mich macht die Situation unendlich traurig und sie macht mir Angst."

Jenny Jasberg Kreisvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Hamburg-Bergedorf

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